Dem Himmel so nah | Durchquerung der Tour du Ciel

Erfahrungsbericht von Sandra Gschnitzer April 2021

Erfahrungsbericht von Sandra Gschnitzer
April 2021

Wir sitzen bei einem Panaché auf der Sonnenterrasse der Cabane du Mountet, umgeben von einer Kulisse aus formschönen Viertausendern, dem Ober Gabelhorn, der Dent Blanche und ihren majestätischen Nachbarn. Vor uns breitet sich eine Welt aus Schnee und Eis aus: Spalten, Séracs und geschwungene Formen, die von Wind und Zeit modelliert wurden. In der Ferne zeichnen sich einsame Skispuren ab, die unsere sind. Ein mächtiges Gefühl. Heute waren wir fast allein unterwegs auf dem Weg zu unserem zweiten Etappenziel.

Ein stiller Start im Nebel

Gestern Mittag sind wir mit unserem Bergführer, von Zermatt zur Schönbüelhütte aufgebrochen. Dichter Nebel und leichter Schneefall begleiteten uns, das Matterhorn blieb zunächst verborgen. In der Hütte angekommen, waren wir die einzigen Gäste. „Ab morgen sind wir wieder voll belegt“, meinte der Hüttenwirt. Umso mehr genossen wir die Ruhe und die Stille dieser Nacht. Noch im Morgengrauen machte ich mich verschlafen auf den Weg zum Toilettenhäuschen und traute meinen Augen kaum: Die gigantische Nordwand des Matterhorns thronte direkt vor mir, während die Sonne über den Bergen aufging.

Im Rhythmus des Aufstiegs

Der frische Neuschnee versprach beste Bedingungen, also brachen wir früh auf. Es ging über den Hohwänggletscher zum Col Durand. Oben angekommen, öffnete sich ein 360° Panorama der Extraklasse. Unsere Abfahrt über den Durandgletscher war pure Freude. Jauchzer hallten durch den Pulverschnee, während wir durch die weite Gletscherlandschaft schwebten.
Das Panaché auf der Mountet-Hütte hatten wir uns nach dem Gegenanstieg in der Frühlingssonne mehr als verdient.

Von Rösti, Riegeln und Hungergefühl

Am Abend auf der Mountet-Hütte sorgten wir uns zum ersten Mal über etwas, worüber wir tags zu vor noch scherzten: Ob wir auf der Tour wohl genügend zum essen abbekommen. Als dann aber der zweite Nachschlag kam, war klar, wir werden bestimmt satt. Wir erzählten unserem Bergführer, dass unser Proviant aus einem einzigen Riegel pro Tag bestand, mehr passt in einen 30-Liter-Rucksack einfach nicht hinein. Er grinste und versprach: „Morgen gibt’s Rösti in der Cabane Arpitettaz.“ Ein weiser Plan, wie sich später herausstellen sollte.

Sonnenaufgang und Gratkletterei

Am nächsten Morgen starteten wir früh Richtung Blanc du Moming. Der Aufstieg war frostig. Die Sonne küsste nur die höchsten Gipfel, während wir noch im Schatten stiegen. Erst kurz vor der Gratkletterei erreichten uns die ersten warmen Strahlen. Dieser Moment war magisch: die Sonne im Gesicht, die Hände am Fels, die Bergwelt ringsum. Ich wusste nicht, was schöner war – die Wärme, der Grat oder der Ausblick. Also genoss ich einfach alles. Auf dem Gipfel gönnten wir uns unseren Tagesriegel. Danach folgte eine traumhafte Abfahrt über den Glacier de Moming, ein kurzer Gegenanstieg und schliesslich goldgelbe Rösti mit Käse auf der Cabane Arpitettaz. Mit Blick zurück auf unsere Spur fühlte sich dieser Moment wie ein Zauber an.

Von Höhenmetern und Hüttenluxus

Die dritte Etappe war fordernd: drei Mal auffellen, rund 2000 Höhenmeter, wechselndes Gelände. Doch die langen Abfahrten im Pulver- und Firntraum machten jede Anstrengung wett. Auf 3256 Metern erwartete uns die neue Tracuit-Hütte, ein moderner Luxusliner unter den Berghütten. Warm, hell, gemütlich. Beim Abendessen – sechs Portionen Spaghetti für vier Personen – feierten wir unsere kleine Berggemeinschaft und schlugen uns die Bäuche voll.

Der Gipfel des Bishorn

Am nächsten Morgen ging es zum Bishorn. Ein geschichtsträchtiger 4000er, einst erstmals von einer Frau bestiegen. Stolz und Vorfreude begleiteten uns: bald würden auch wir zwei Frauen oben stehen. Bei –20 °C und starkem Wind stapften wir im Zwiebellook den Hang hinauf. Kaum Worte, nur Atem und Bewegung. Meine Freundin kramte Wärmekissen hervor: „Wau, wo hoschen de iats hear?“ fragte ich, dankbar, als sie mir eines abgab. Sie steckte ihre in die Gesässtaschen. „Ja, wir hatten auch gefrorene Ärsche“, lachten wir später.
Kurz vor dem Gipfel flaute der Wind ab. Plötzlich Stille. Ein magischer Moment. Wir stapften die letzten Meter, standen auf 4153 m, das Weisshorn zum Greifen nah, ringsum ein Meer aus Gipfeln. Wir lagen uns in den Armen, glücklich und erschöpft.

Abfahrtsfreude und letzte Kräfte

Die Abfahrt über den Truttmanngletscher begann ruppig, wurde weiter unten aber zu purem Genuss. „Yes! Geil!“, riefen wir im Chor. Doch der nächste Gegenanstieg wartete schon. Und noch einer. „Irgendwenn isch nor a mol genua!“, beschwerte sich meine Freundin lachend.
Ich antwortete: „Nor verdianen mir ins is Panaché holt noamol!“ Die Truttmannhütte thronte über uns und das Panaché schmeckte dort oben wie eine Belohnung für alles.

Zwischen Erschöpfung und Erfüllung

Am Abend sassen wir müde, aber zufrieden in der Hütte. Stolz mischte sich mit der Sehnsucht nach einer Dusche und fliessendem Wasser. Was treibt einen an, mit schwerem Rucksack und wenig Komfort tagelang durch die Alpen zu ziehen? Die Antwort kam später, nach der letzten Etappe.

Der Abschied vom Himmelspfad

Weil die Bahn nach St. Niklaus wegen Revision geschlossen war, mussten wir umplanen. Unser Bergführer, wie immer voller Ideen, schlug eine letzte Gipfelbesteigung vor. Ein letzter Aufstieg, ein letzter Glücksmoment im frischen Neuschnee. Wehmut begleitete mich: Bald würde dieses Abenteuer enden. Doch mehr als die Berge blieben mir die Menschen in Erinnerung. Aus Fremden war in fünf Tagen ein Team geworden. Wir setzten zur letzten Abfahrt an in einen frischverschneiten Hang, Weite und Jubelrufe, die durchs Tal hallten.
Dann, bei Pommes im „Take Away“ an der Talstation, fiel die Antwort auf die Frage nach dem „Warum“:

„Weil es erfüllt, die Natur so intensiv zu erleben, Grenzen zu überschreiten und zu wachsen. Draussen finden wir nicht nur neue Wege, sondern auch neue Seiten in uns selbst. Und die Menschen, mit denen wir diese Momente teilen, bleiben Teil unserer Geschichte, ein Leben lang.“

Mit einem breiten Grinsen reisen wir zurück. Von dort, wo wir herkamen und doch verändert.
Für genau dieses Gefühl haben sich jeder Aufstieg, jeder kalte Finger und jeder schwere Rucksack gelohnt.

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